Im Folgenden werden einige wichtige Urteile von deutschen Gerichten kurz aufgeführt. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Zusammenstellung mit großer Sorgfalt erarbeitet wurde, aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit erheben kann.

Sie kann eine Beratung bei einem Rechtsanwalt nicht ersetzen.


Medizinische Aspekte

Vorwort

Die Testierunfähigkeit kann von einem Gericht nur auf Grund eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden. Der vom Gericht zu bestellende Sachverständige sollte Psychiater sein (OLG München,2020).

OLG München, Beschluss v. 14.01.2020 – 31 Wx 466/19

Grundsätzlich müssen drei Voraussetzungen, die sich aus dem Gesetzestext des §2229,IV BGB ergeben, gleichzeitig erfüllt sein, damit nach juristischen Maßstäben Testierunfähigkeit vorliegt:

- Krankhafte Störung der Geistestätigkeit bzw. Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung,
- Unfähigkeit, die Bedeutung der Willenserklärung einzusehen (kognitives Element)
  und nach dieser Einsicht zu handeln (voluntatives Element),
- Kausalität, d.h. die fehlende Einsichtsfähigkeit und die fehlende Freiheit der Willensbestimmung müssen auf der geistigen Störung beruhen.

Die im Gesetz erwähnte krankhafte Störung der Geistestätigkeit und die Geistesschwäche unterscheiden sich nur graduell, d.h., die Geistesschwäche ist eine minderschwere Störung der Geistestätigkeit.

Bei der Begutachtung der Frage, ob eine Testierfähigkeit vorgelegen hat oder nicht, sind die oben genannten Punkte zu überprüfen. Dabei ist darauf zu achten, dass der juristische Krankheitsbegriff: krankhafte Störung der Geistestätigkeit bzw. Geistesschwäche nicht identisch ist mit den medizinischen Diagnosen (nach ICD-10 International classification of diseases, Chapter V (WHO,1992)).

Weltgesundheits-Organisation, ICD-10, 1992, Genf, deutsch: Dilling H, et al.: Klassifikation psychischer Krankheiten. Klinisch-diagnostische Leitlinien nach Kapitel V (F) der ICD-10. Huber, Bern 4.Aufl.,2006


Neuropsychiatrische Krankheitsbilder

Eine Reihe von neuropsychiatrischen Krankheitsbildern kann die freie Willensbildung soweit einschränken, dass die Testierfähigkeit als nicht mehr gegeben angesehen werden kann – also eine Testierunfähigkeit vorliegt (vgl. Wetterling,2016).

Wetterling T (2020) Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen. 2. überarb. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart ISBN 9783170379145

Dabei ist zu beachten ist, dass die Diagnose einer solchen Erkrankung nicht automatisch zur Testierunfähigkeit führt, sondern in jedem Einzelfall muss anhand der nachweisbaren psychopathologischen und neuropsychologischen Auffälligkeiten nachgewiesen werden, dass wichtige Voraussetzungen für die freie Willensbildung zum Zeitpunkt der Testamentsunterzeichnung nicht vorgelegen haben.

Nach der Rechtsprechung wird einer sehr hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen entsprechender Auffälligkeiten verlangt, um die Annahme einer Testierunfähigkeit zu rechtfertigen.


Diagnosen/Psychopathologische Auffälligkeiten

Der Gebrauch von psychiatrischen Diagnosen und Begriffen ist in der Allgemeinbevölkerung verbreitet (Demenz, Depression, Wahn etc.), aber sie werden nicht in einem genau definierten Sinne gebraucht. Heutzutage ist es in der Psychiatrie üblich, Diagnosen anhand von international gültigen Kriterien zu stellen. Diese sind in den diagnostischen Leitlinien der ICD 10 – International classification of diseases, Chapter V (WHO,1992) zusammengestellt worden. In Deutschland sind die ICD-10 Diagnosen im medizinischen Bereich verbindlich.

Weltgesundheits-Organisation, ICD-10, 1992, Genf, deutsch: Dilling H,et al.: Klassifikation psychischer Krankheiten. Klinisch-diagnostische Leitlinien nach Kapitel V (F) der ICD-10. Huber, Bern 6.Aufl.,2006

Bei psychiatrischen Diagnosen handelt es sich um Syndromdiagnosen, d.h. psychopathologische Symptome, die besonders häufig zusammen auftreten, werden zu einem Syndrom, z.B. Demenz oder Depression zusammengefasst.

In der Psychopathologie werden Abweichung von der Norm v.a. in folgenden Bereichen: Denken, Fühlen und Verhalten erfasst. Hierbei ist zu beachten, dass alterstypische Veränderungen durchaus Abweichungen von der Norm sein können, denn diese bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung.

Die juristischen Begriffe:
- krankhafte Störung der Geistestätigkeit
- Geistesschwäche
- Bewusstseinsstörung
sind nicht identisch mit den medizinischen Krankheitsbegriffen. Daher soll hier Begriffsklärung versucht werden:

Der Begriff: krankhafte Störung der Geistestätigkeit beinhaltet zwei wesentliche Aspekte:
a. Krankhaft im juristischen Sinne ist als von der Norm (=Normalbevölkerung) abweichend anzusehen. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Norm auf die Allgemeinbevölkerung und nicht auf ältere Menschen bezieht.

b. Als Störung der Geistestätigkeit sind eine Reihe von psychopathologischen Auffälligkeiten anzusehen, v.a. kognitive Störungen, inhaltliche Denkstörungen (Wahn) sowie formale Denkstörungen

c. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit kann vorübergehend auftreten.


Schwierig ist eine Bewertung dieser Störungen in Hinblick auf die von Juristen geforderte Willensbestimmung. Sie muss einem psychiatrischen Sachverständigengutachten vorbehalten bleiben.

Unter kognitiven Störungen sind Störungen der Urteilsfähigkeit, des Gedächtnisses, des Wortverständnisses etc. zu verstehen. Sie kommen v.a. bei einer Demenz und bei einem Delir vor.
Inhaltliche Denkstörungen kommen v.a. als Wahn vor. Ein Wahn kann bei einer Reihe von psychiatrischen Erkrankungen und isoliert auftreten.
Als formale Denkstörungen werden Störungen der Denkabläufe (z.B. Gedankenabbrechen, Gedankenhemmung, Ideenflucht) bezeichnet. Sie treten bei schweren Depressionen, bei Manien und bei schizophrenen Störungen auf. Sie können auch im Rahmen von Deliren, Demenzen oder auch Intoxikationen vorkommen.

Der Begriff: Geistesschwäche. Nach der juristischen Lehrmeinung ist die Geistesschwäche als eine minderschwere Störung der Geistestätigkeit anzusehen. Sie besteht aber in der Regel dauerhaft. Eine Geistesschwäche ist v.a. bei einer Intelligenzminderung, Lernbehinderung etc. anzunehmen.

Der Begriff: Bewusstseinsstörung ist schwierig zu definieren, weil die Frage, was unter Bewusstsein zu verstehen ist, eine philosophische ist. In der Neurologie und der Psychiatrie werden quantitative Bewusstseinsstörungen (Somnolenz, Sopor, Koma) von qualitativen (Bewusstseinstrübung) unterschieden. Quantitative Bewusstseinsstörungen treten v.a. nach schweren Schädelverletzungen oder bei schweren neurologischen Erkrankungen meist nur kurzzeitig auf. Für die Beurteilung der freien Willensbestimmung sind daher die qualitativen Bewusstseinsstörungen von größerer Bedeutung. Zu einer Bewusstseinstrübung kommt es v.a. im Rahmen eines Delirs.


Demenz  (Weitere Informationen finden Sie hier)

Demenzielle Erkrankungen sind im Alter sehr häufige Erkrankungen. Der Prozentsatz der Betroffenen in einer Altersgruppe steigt mit zunehmendem Alter an, von unter 1% bei 60-Jährigen auf über 30% bei 90 Jährigen. Ursache für eine Demenz können zahlreiche Erkrankungen sein, die in irgendeiner Weise das Gehirn schädigen (Wetterling,2019).

Wetterling T (2019) Neuropsychiatrische Aspekte der Multimorbidität. Kohlhammer, Stuttgart, Kap. 6

Bei der Demenz handelt es sich um eine Beeinträchtigung erworbener Fähigkeiten (Hirnleistungen), während bei einer Minderbegabung eine schon seit Geburt bzw. früher Kindheit bestehende Einschränkungen der intellektuellen Fähigkeiten handelt.

Nach den international üblichen diagnostischen Leitlinien ICD-10 (WHO,1992) liegt eine Demenz vor, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

A1.Nachweis einer Abnahme des Gedächtnisses von einem solchen Ausmaß, dass die   
      Funktionsfähigkeit im täglichen Leben beeinträchtigt ist. Die Beeinträchtigung des Gedächtnisses betrifft vornehmlich das
      Neugedächtnis.

A2.Abnahme der intellektuellen Fähigkeiten: Beeinträchtigung des Denkvermögens, Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit,
       Verminderung des Ideenflusses


B. Es besteht nicht gleichzeitig ein Delir
 

C. Verminderung der Affektkontrolle, Vergröberung des Sozialverhaltens und Verminderung des Antriebs

D. Beträchtliche Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens

E. Für eine sichere Diagnose sollten die obigen Symptome und die Beeinträchtigungen mindestens 6 Monate angedauert haben

Es sind verschiedene Schweregrade einer Demenz zu unterscheiden.

Weltgesundheits-Organisation, ICD-10, 1992, Genf, deutsch: Dilling H,et al.: Klassifikation psychischer Krankheiten. Klinisch-diagnostische Leitlinien nach Kapitel V (F) der ICD-10. Huber, Bern 4.Aufl.,2006

Häufig wird in klinischen Untersuchungen zu Quantifizierung der kognitiven Defizite der sogenannte Mini-Mental Status-Test (Folstein et al.,1975) herangezogen. Dieser erlaubt nur eine Abschätzung des Schweregrads der Demenz.

Folstein M, Folstein S, Mc Hugh PR.: Mini Mental state: A practical for grading the cognitive state of patients for the clinican. J Psychiatric Res 12 (1975) 189 192.

Die Willensbildung kann durch bei einer Demenz bestehende Beeinträchtigungen der intellektuellen Fähigkeiten abhängig vom Schweregrad der Störungen eingeschränkt bis aufgehoben sein.

Nach der Rechtsprechung (BayObLG,1997; OLG Düsseldorf 1998) kann bei einer Demenz nur aufgrund des Gesamtverhaltens und des Gesamtbildes der Persönlichkeit zur Zeit der Testamentserrichtung beurteilt werden, ob der Erblasser Inhalt und Reichweite seiner letztwilligen Verfügung noch beurteilen und hiernach handeln konnte.

BayObLG, FamRZ (1997) 1511-1512
OLG Düsseldorf, FamRZ (1998) 1064-1065


Für juristische Fragen ist nicht so sehr die Form der Demenz (z.B. Alzheimer) von Belang, sondern die nachweisbaren Beeinträchtigungen der Geistestätigkeit (vgl. Wetterling,2020).
Häufig ist es nach dem Tode des Erblassers schwierig, den Grad der geistigen (= kognitiven) Beeinträchtigungen einzuschätzen, insbesondere wenn die Angaben verschiedener Zeugen stark voneinander abweichen und/oder Befunde nicht zeitnahe zu dem Termin der Unterzeichnung des Testaments vorliegen. In diesen Fällen ist häufig zur Klärung ein Gutachten erforderlich, in dem auch die Verlaufsaspekte der verschiedenen zu einer Demenz führenden Erkrankungen berücksichtigt werden sollten (BayObLG,1997; Wetterling,2020)

BayObLG (1.08.1979) BayObLGZ (1997), 256
Wetterling T (2020) Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen. Kohlhammer, Stuttgart ISBN9783170379145


Delir  (Weitere Informationen finden Sie hier)

Ein Delir ist in der Regel gekennzeichnet durch einen plötzlichen Beginn und eine begrenzte Dauer (bis zu einigen Wochen). Es handelt sich um eine globale Hirnfunktionsstörung, während eine Demenz auf der Störung bestimmter Hirnareale mit entsprechenden Auffälligkeiten beruht. Eine Vielzahl von körperlichen Erkrankungen kann zu einem Delir führen (Wetterling,2002,2005)

Wetterling T, Organische psychische Störungen, Steinkopff, Darmstadt,2002

Wetterling T, Somatische Erkrankungen bei älteren deliranten Patienten. Zeitschrift für Gerontopsychologie &- psychiatrie 18 (2005) 3-7

Die wesentlichen Symptome eines Delirs sind nach den diagnostischen Leitlinien der ICD-10:
1. Bewusstseinstrübung mit Desorientiertheit (zu Zeit, Ort, Situation oder zur eigenen Person)
2. Aufmerksamkeitsstörung
3. Kognitive und Denkstörungen
4. Fakultativ: Halluzinationen, Wahn
5. Oft Schlaf-/wach-Umkehr
6. Stark wechselnder Verlauf (meist nachts schlechter)

Weltgesundheits-Organisation, ICD-10, 1992, Genf, deutsch: Dilling H,et al.: Klassifikation psychischer Krankheiten. Klinisch-diagnostische Leitlinien nach Kapitel V (F) der ICD-10. Huber, Bern 4.Aufl.,2006

Da bei einem Delir eine Bewusstseinstrübung vorliegt, besteht immer eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Willensbildung. Aufgrund des wechselhaften Verlaufs können sich Phasen der Bewusstseinstrübung mit solcher eine Bewusstseinsklarheit abwechseln. Daher ist bei Menschen mit einem Delir eine nachträgliche Einschätzung der Fähigkeit zur Willensbildung sehr schwierig bis unmöglich.

Bei etwa 40% der Dementen tritt im Verlauf der Krankheit ein Delir auf. Auch zeigen beide psychiatrischen Syndrome eine große Überschneidung der Symptomatik.



Depression (Weitere Informationen finden Sie hier)

Depressive Symptome und auch das Vollbild eines depressiven Syndroms sind in allen Altersstufen anzutreffen. Bei einer Depression können eine Reihe von psychischen und auch körperlichen Symptomen auftreten (ICD-10, WHO,1992). Die psychischen Symptome bestehen z.B. in Antriebs-, Interessen- und Lustlosigkeit, Traurigkeit und Selbstmordgedanken.

Für die Beurteilung der freien Willensbildung ist v.a. der Schweregrad der Depression, insbesondere der Nachweis von psychotischen Symptomen wie z.B. ein Wahn (s.u.) oder eine Denkhemmung sowie kognitiven Störungen (depressive Pseudodemenz) von Bedeutung.  

Weltgesundheits-Organisation, ICD-10, 1992, Genf, deutsch: Dilling H, et al.: Klassifikation psychischer Krankheiten. Klinisch-diagnostische Leitlinien nach Kapitel V (F) der ICD-10. Huber, Bern 4.Aufl.,2006

 

Manie

Manische Symptome und auch das Vollbild einer Manie sind bei älteren Menschen seltener als bei jüngeren anzutreffen. Dies gilt auch für manische Phasen im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung.  Bei einer Manie können eine Reihe von psychischen Symptomen auftreten (ICD-10, WHO,1992). Die psychischen Symptome bestehen z.B. in Antriebssteigerung und Ideenflucht sowie vermindertem Schlafbedürfnis. Für die Beurteilung der freien Willensbildung ist v.a. der Schweregrad der manischen Symptomatik, insbesondere der Nachweis von psychotischen Symptomen wie z.B. ein Größenwahn (s.u.) oder einer Ideenflucht von Bedeutung. 

Weltgesundheits-Organisation, ICD-10, 1992, Genf, deutsch: Dilling H, et al.: Klassifikation psychischer Krankheiten. Klinisch-diagnostische Leitlinien nach Kapitel V (F) der ICD-10. Huber, Bern 4.Aufl.,2006

 

Wahn (weitere Informationen finden Sie hier)

Eine allgemein akzeptierte Definition eines Wahns existiert nicht. Charakteristisch ist, dass der Betreffende eine Überzeugung hat, die a priori feststeht und die auch bei Gegenbeweisen aufrecht erhalten wird. Der Wahninhalt kann sehr bizarr sein (z.B. bei Dementen: durch Bestrahlung durch Nachbarn aus der Wohnung getrieben werden zu sollen), aber auch real möglichen Gegebenheiten entsprechen. In diesen Fällen ist posthum (bei Testierfähigkeitsgutachten) der Nachweis eines Wahns schwierig bis unmöglich.

Ein Wahn ist psychopathologisch als inhaltliche Denkstörung einzuordnen. Bei einem Wahn ist von einer Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit und auch der Willensbildung auszugehen. Eine Unfähigkeit, einen freien Willen zu bilden, ist anzunehmen, wenn krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken, den Betreffenden derart beeinflussen, dass die Erwägungen und Willensentschlüsse tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von den krankhaften Einwirkungen beherrscht werden (OLG München,2007).

OLG München, (14.08.2007) 31 Wx 16/07, FGPrax (2007) 274-276

Die Beeinträchtigung des Wahns auf die freie Willensbildung bezieht sich vor allem auf den Bereich, den der Wahn zum Inhalt hat (z.B. bestimmte Personen, die den Betreffenden betrogen, bestohlen etc. haben oder verfolgen). Ein Wahn für die Beurteilung der Testierfähigkeit nur dann von Bedeutung, wenn er sich auf mögliche Erben oder das Erbe bezieht (BayObLG,2000). „Pathologischen Hassgefühle“ unter Geschwistern werden aber nicht als Grund für die Annahme von Testierunfähigkeit angesehen (BayObLG,1992).

Bay0bLG, NJW 92, 248; BayObLG (14.9.2000) 1 Z BR 124/00.

Ein Wahn kann isoliert oder bei einer körperlichen Grunderkrankung als einziges psychopathologisches Symptom oder im Rahmen eines Delirs oder einer Demenz auftreten (Wetterling,2002). Ein Wahn kann auch ein Symptom bei einer Depression, Manie und v.a. bei einer Schizophrenie sein.

Wetterling T (2002) Organische psychische Störungen, Steinkopff, Darmstadt


Spezielle Aspekte

Luzides Intervall

Im Zusammenhang mit der Frage der freien Willensbildung taucht immer wieder die Frage auf, ob es oft im Verlauf einer Demenz mit Unfähigkeit, einen freien Willen zu bilden, kurze Intervalle geben kann, in denen der Betreffende doch noch zur Bildung eines freien Willens fähig ist (‚luzides Intervall‘). Die Beweislast hat derjenige, der ein luzides Intervall behauptet (BayObLG,1990,1997).

BayObLG (13.2.1990) FamRZ 90, 801.
BayObLG (1.08.1979) BayObLGZ (1997) 256

Die Möglichkeit eines luziden Intervalls ist in der Fachliteratur sehr umstritten. Die Annahme eines luziden Intervalls ist an einige Voraussetzungen gebunden:

1. bei dem Betreffenden liegt schon längere Zeit eine weitgehend konstante Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten vor, die so schwerwiegend ist, dass sie eine Beeinträchtigung der freien Willensbildung begründen würde,
2. in einem engen begrenzten Zeitraum (meist ein bis wenige Tage) verbessern sich die intellektuellen Fähigkeiten des Betreffenden wieder soweit, dass er vorübergehend kurzzeitig wieder ein Zustand erreicht, in dem eine freie Willensbildung möglich ist.
3. nach diesem ‚luziden Intervall’ fällt der Betreffende wieder in seinen alten Zustand der schwerwiegenden intellektuellen Beeinträchtigung zurück.

Ein luzides Intervall in diesem engen Sinn ist medizinisch kaum zu begründen, wenn nicht eine medizinische Behandlung von einigen Erkrankungen stattgefunden, die die intellektuellen Fähigkeiten stark beeinträchtigen kann. Wenn diese Erkrankungen nicht behandelt bzw. schlecht kompensiert sind, so kann in Grenzfällen, bei denen die freie Willensbildung zweifelhaft erscheint, durch Behandlung ein Zustand erreicht werden, in dem eine freie Willensbildung möglich ist.

Wetterling T (2020) Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen. 2.überarb. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart ISBN 9783170379145

Sonderfälle

Medikamenteneinnahme/Alkoholkonsum

Eine Reihe von Medikamenten kann zu Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit führen. Zu nennen sind hier einige im Alter häufig verordnete Medikamente:
- Benzodiazepine (Erinnerungsvermögen)
- Opiate (=starke Schmerzmittel)
- Neuroleptika und Antidepressiva in höherer Dosierung
Die Behauptung, ein Erblasser habe starke Medikamente eingenommen, reicht nicht, um konkrete Zweifel an der Testierfähigkeit hervorzurufen (OLG Hamm,1996). Es ist also wie bei einem erhöhten Alkoholkonsum der konkrete Nachweis einer Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten nachzuweisen. Chronisch erhöhter Alkoholkonsum kann zu erheblichen Beeinträchtigungen führen (Wetterling,2000).

OLG Hamm (12.11.96) FamRZ 97, 1026

Wetterling T (2021) Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit. Kohlhammer, Stuttgart (Im Druck)